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Johann Schöffthaler | News | 03.04.2019

Bereitschaftszeit bei Lenker/innen – Rechtsfolgen bei Überschreitung der Arbeitszeit

Johann Schöffthaler erläutert, welche Missverständnisse bezüglich der Bereitschaftszeit bei Lenker/innen und Verkehrsunternehmen vorherrschen. Das Überschreiten der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden kann zu Rechtsfolgen führen.

Gemäß § 13b Abs 3 Arbeitszeitgesetz (AZG) kann der Kollektivvertrag für Betriebe, für die kein Kollektivvertrag wirksam ist, die Betriebsvereinbarung, abweichend von Abs 2, eine durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von bis zu 55 Stunden zulassen, wenn zumindest die über 48 Stunden hinausgehende Arbeitszeit in Form von Arbeitsbereitschaft geleistet wird.

Rechtliche Grundlage

Rechtsgrundlage für § 13b AZG ist die Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben.

Gemäß Artikel 3 dieser Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 ist Arbeitszeit und Bereitschaftszeit folgend definiert.

Unterscheidung Arbeitszeit – Bereitschaftszeit

a) "Arbeitszeit" ist

1. bei Fahrpersonal: die Zeitspanne zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende, während der der Beschäftigte an seinem Arbeitsplatz ist, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht, und während der er seine Funktion oder Tätigkeit ausübt, dh

- die Zeit sämtlicher Tätigkeiten im Straßenverkehr. Diese Tätigkeiten umfassen insbesondere Folgendes:

i) Fahren,

ii) Be- und Entladen,

iii) Hilfe beim Ein- und Aussteigen der Fahrgäste,

iv) Reinigung und technische Wartung,

v) alle anderen Arbeiten, die dazu dienen, die Sicherheit des Fahrzeugs, der Ladung und der Fahrgäste zu gewährleisten bzw die gesetzlichen oder behördlichen Formalitäten die einen direkten Zusammenhang mit der gerade ausgeführten spezifischen Transporttätigkeit aufweisen, zu erledigen. Hierzu gehören auch: Überwachen des Beladens/Entladens, Erledigung von Formalitäten im Zusammenhang mit Polizei, Zoll, Einwanderungsbehörden usw.;

- die Zeiten, während denen das Fahrpersonal nicht frei über seine Zeit verfügen kann und sich an seinem Arbeitsplatz bereithalten muss, seine normale Arbeit aufzunehmen, wobei es bestimmte mit dem Dienst verbundene Aufgaben ausführt, insbesondere während der Zeit des Wartens auf das Be- und Entladen, wenn deren voraussichtliche Dauer nicht im Voraus bekannt ist, dh entweder vor der Abfahrt bzw unmittelbar vor dem tatsächlichen Beginn des betreffenden Zeitraums oder gemäß den allgemeinen zwischen den Sozialpartnern ausgehandelten und/oder durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen.

Nicht zur Arbeitszeit gerechnet werden gemäß Artikel 3 dieser Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 die Ruhepausen gemäß Artikel 5, die Ruhezeiten gemäß Artikel 6 sowie unbeschadet der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten oder der Vereinbarungen der Sozialpartner, nach denen derartige Zeiten ausgeglichen oder begrenzt werden, die Bereitschaftszeit gemäß Buchstabe b) des Artikels 3:

b) "Bereitschaftszeit"

- andere Zeiten als Ruhepausen und Ruhezeiten, in denen das Fahrpersonal nicht verpflichtet ist, an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, in denen es sich jedoch in Bereitschaft halten muss, um etwaigen Anweisungen zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der Fahrtätigkeit oder zur Ausführung anderer Arbeiten Folge zu leisten. Als Bereitschaftszeit gelten insbesondere die Zeiten, in denen das Fahrpersonal ein Fahrzeug während der Beförderung auf einer Fähre oder mit einem Zug begleitet, sowie Wartezeiten an den Grenzen und infolge von Fahrverboten.

Achtung:

Diese Zeiten und ihre voraussichtliche Dauer müssen dem Fahrpersonal im Voraus bekannt sein, dh entweder vor der Abfahrt bzw unmittelbar vor dem tatsächlichen Beginn des betreffenden Zeitraums oder gemäß den allgemeinen zwischen den Sozialpartnern ausgehandelten und/oder durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen.

- für Fahrpersonal, das sich beim Fahren abwechselt, die Zeit, die während der Fahrt neben dem Fahrer oder in einer Schlafkabine verbracht wird.

Hinweis:

Somit bezieht sich der Begriff „Arbeitsbereitschaft“ des § 13 b AZG auf den Begriff „Bereitschaftszeit“ des Art 3 b der Richtlinie 2002/15/EG.

Beispiel

1) Fährt ein Lenker zu einer Firma um 08:00 Uhr von Innsbruck nach Wörgl um eine Ladung zu übernehmen, kommt um 09:00 Uhr an und die Firma in Wörgl sagt dem Lenker, die Ware ist noch nicht fertig, er solle bitte auf dem Parkplatz warten und man holt ihn um 12:00 Uhr zum Laden, ist diese Wartezeit gemäß Art 3 a v) der RL 2002/15/EG Arbeitszeit, „andere Arbeiten“:

- die Zeiten, während deren das Fahrpersonal nicht frei über seine Zeit verfügen kann und sich an seinem Arbeitsplatz bereithalten muss, seine normale Arbeit aufzunehmen, wobei es bestimmte mit dem Dienst verbundene Aufgaben ausführt, insbesondere während der Zeit des Wartens auf das Be- und Entladen, wenn deren voraussichtliche Dauer nicht im Voraus bekannt ist, dh entweder vor der Abfahrt bzw unmittelbar vor dem tatsächlichen Beginn des betreffenden Zeitraums oder gemäß den allgemeinen zwischen den Sozialpartnern ausgehandelten und/oder durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen.

2) Fährt ein Lenker zu einer Firma um 08:00 Uhr von Innsbruck nach Wörgl um eine Ladung zu übernehmen, der Disponent gibt ihm vor der Abfahrt die Information, dass die abzuholende Ware erst um 12:00 zur Verladung bereit ist und der Lenker kommt um 09:00 Uhr in Wörgl bei der Firma an, weiß aber, dass er erst um 12:00 Uhr die Ladung bekommt oder er kommt um 09:00 Uhr bei der Firma an, welche ihm die Information gibt, dass die Ladung erst um 12:00 fertig zum Laden ist, kann sich somit auf den Parkplatz stellen, das Fahrzeug und die Firma verlassen um zB Einkäufe zu tätigen oder Kaffee zu trinken, ist diese Zeit als Bereitschaftszeit im Sinne des Art 3 b der RL 2002/15 zu werten:

- andere Zeiten als Ruhepausen und Ruhezeiten, in denen das Fahrpersonal nicht verpflichtet ist, an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, in denen es sich jedoch in Bereitschaft halten muss, um etwaigen Anweisungen zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der Fahrtätigkeit oder zur Ausführung anderer Arbeiten Folge zu leisten. Als Bereitschaftszeit gelten insbesondere die Zeiten, in denen das Fahrpersonal ein Fahrzeug während der Beförderung auf einer Fähre oder mit einem Zug begleitet sowie Wartezeiten an den Grenzen und infolge von Fahrverboten.

Diese Zeiten und ihre voraussichtliche Dauer müssen dem Fahrpersonal im Voraus bekannt sein, dh entweder vor der Abfahrt bzw unmittelbar vor dem tatsächlichen Beginn des betreffenden Zeitraums oder gemäß den allgemeinen zwischen den Sozialpartnern ausgehandelten und/oder durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen;

- für Fahrpersonal, das sich beim Fahren abwechselt, die Zeit, die während der Fahrt neben dem Fahrer oder in einer Schlafkabine verbracht wird.

Dokumentation der Tätigkeiten

Diese Tätigkeiten muss der Lenker entweder im Lenkprotokoll oder mittels des digitalen Tachographen deklarieren. Zum Beispiel schreibt Art 34 Verordnung (EU) Nr 165/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Fahrtenschreiber im Straßenverkehr vor:

unter dem Zeichen:
bild 1
 die Lenkzeiten,unter dem Zeichen:
bild 2
„andere Arbeiten“, das sind alle anderen Tätigkeiten als die Lenktätigkeit im Sinne von Artikel 3 Buchstabe a der Richtlinie 2002/15/EG sowie jegliche Arbeit für denselben oder einen anderen Arbeitgeber, sei es innerhalb oder außerhalb des Verkehrssektors,unter dem Zeichen:
bild 3
„Bereitschaftszeit“ im Sinne von Artikel 3 Buchstabe b der Richtlinie 2002/15/EG,unter dem Zeichen:
bild 4
Arbeitsunterbrechungen oder Ruhezeiten.

Problematik

Das Problem dabei ist, dass die Lenker und die Verkehrsunternehmen den speziellen Unterschied zwischen Bereitschaftszeit im Sinne der RL 2002/15/EG und der Arbeitsbereitschaftszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung nicht kennen, da es den Begriff „Arbeitsbereitschaft“ in der letztgenannten RL nicht gibt. In der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 gibt es nur den Begriff Arbeitszeit (Artikel 2 Ziffer 1):

Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

Im Sinne der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 und der Judikatur des EuGH ist Arbeitsbereitschaft mit Arbeitszeit gleichzusetzen.

Fazit

Aber nur diese spezielle Form der „Bereitschaftszeit“ gemäß RL 2002/15/EG vom 11. März 2002 berechtigt die Ausweitung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 48 auf 55 Wochenstunden im Zeitraum von 17 bzw 26 Wochen (siehe § 13 b Abs 2 AZG). Aus praktischer Erfahrung bei Überprüfungen von Firmen und Gesprächen mit Lenkern und Lenkerinnen werden sehr oft „Ruhepause“ deklariert anstatt „andere Arbeiten“, das Gleiche gilt bei „Bereitschaftszeit“ in Fällen wie im ersten Beispiel beschrieben.

Bei Betrieben, welche die Lohnabrechnung mittels der Aufzeichnungen des digitalen Tachographen durchführen, wird bei einer solchen Falscheingabe der Tatbestand des Verdachtes der Hinterziehung von Sozialabgaben schlagend, da „Bereitschaftszeit“ beim digitalen Tachographen keine Arbeitszeit darstellt und unterliegt der Meldepflicht gemäß § 4 Abs 2 Z 1 SBBG.